Trotz berechtigter Kritik am „Marktfundamentalismus“ steht fest: Die rasche Expansion der Mobiltelefonnetze im Süden ist vor allem der Liberalisierung des Marktzugangs und dem dadurch ermöglichten Wettbewerb zu verdanken. Durch technologischen Fortschritt und Produktinnovationen ist es der Branche gelungen, die Preise so weit zu senken, dass ein großer Teil der weltweiten Einkommenspyramide „an Bord“ geholt werden kann – mit teilweise atemberaubender Geschwindigkeit.
Insbesondere in Afrika südlich der Sahara wurde in wenigen Jahren weit mehr erreicht als in den Jahrzehnten der Staatsmonopole davor. Noch 2002 gab es in Nigeria bloß 1,6 Millionen Mobilfunkanschlüsse; 2006 waren es bereits mehr als 32 Millionen, und Ende 2007 dürfte Nigeria mit 43 Millionen Anschlüssen sogar Südafrika überholen. Ähnlich die Entwicklung in anderen traditionell unterversorgten Ländern: In Nepal versechsfachte sich der Anteil der Bevölkerung mit Telefon von 2004 bis 2006 auf 6%; das Ziel von 15% für 2014 wird um Jahre früher erreicht werden.
Indien wiederum ist nach Teilnehmeranschlüssen der am raschesten wachsende Markt der Welt – dort kommen derzeit pro Monat sechs bis sieben Millionen neue Anschlüsse hinzu; im laufenden Jahr wird die 200-Millionen-Marke überschritten werden.
Dieser Erfolg beruht im Grunde auf technologischer Innovation. Die Errichtungskosten eines Mobiltelefonnetzes lagen von vornherein weit unter denen eines Festnetzes, während Wettbewerb und Skalenerträge für rasche Preissenkungen sorgten. Weitere Säulen sind die Entwicklung von Billig-Handys, die nicht mehr als 20 US-Dollar kosten, Wertkarten-Telefone und kostenlose Passivgespräche. Damit konnte das Angebot auf eine weit niedrigere Kaufkraft zugeschnitten werden. Während in reichen Ländern pro Anschluss im Schnitt 50 Dollar monatlich umgesetzt werden, waren es bei Banglalink in Bangladesch im Vorjahr nicht einmal drei Dollar, der niedrige Umsatz wird durch hohe Teilnehmerzahlen bei hoher Bevölkerungsdichte wettgemacht.
Mit ihrer raschen Expansion wurde die Telekommunikationsindustrie außerdem zu einem bedeutenden Wachstumsfaktor. Der Beitrag der Mobiltelefonbranche könnte nach einer Analyse des Beratungsunternehmens Mckinsey weit höher sein als bisher angegeben. Während die Branche 2005 in Indien, China und den Philippinen nach herkömmlichen Schätzungen 0,4%, 1,1% und 2,0% zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beigetragen hat, kommt Mckinsey auf 0,7%, 3,2% bzw. 3,8%. Welches Potenzial etwa der indische Markt in absoluten Zahlen repräsentiert, zeigte sich Anfang Februar, als der Mobilnetz-Gigant Vodafone mehr als elf Mrd. Dollar für eine Mehrheitsbeteiligung am indischen Netzbetreiber Hutch Essar bezahlte.
Dass sich der Erfolg bei der Sprachtelefonie auch bei der Überwindung der „digitalen Kluft“ zwischen Nord und Süd, etwa bei der Nutzung des Internet 1:1 wiederholen ließe, wird niemand behaupten. Bemerkenswert ist jedoch, dass mit dem Ausbau der Mobilfunknetze auch eine Infrastruktur geschaffen wird, die im jeweiligen Versorgungsgebiet einen Breitband-Zugang zum Internet ermöglicht. GSM-Netze lassen sich relativ kostengünstig auf den neuen Standard HSPA (High Speed Packet Access) aufrüsten, der einen Datentransfer von bis zu 10 Megabit pro Sekunde (mbps) ermöglicht, das 20fache eines gängigen ADSL-Anschlusses.
Laut dem Branchenverband GSMA hatten sich per September 2006 bereits 140 Netzbetreiber in 64 Ländern auf diese Technologie festgelegt, 93 Netze in 51 Ländern waren bereits in Betrieb. Gleichzeitig boten 156 GSM-Netze in 92 Ländern über die ältere „Edge“-Technologie einen Breitbandzugang zum Internet, darunter übrigens auch GrameenPhone in Bangladesch, einer der weltweiten Pioniere der Mobilfunkversorgung in armen Ländern.
Da die Netze im Süden überwiegend auf GSM-Technik basieren, wird sich nach Ansicht von Analysten der HSPA-Standard auch aus Kostengründen gegenüber WiMAX durchsetzen, einer alternativen Breitband-Funktechnologie. Aus einem Wettbewerb der GSMA ist auch bereits ein preisgünstiges HSPA-Handy hervorgegangen: Das Modell des südkoreanischen Herstellers LG wird rund 100 Dollar kosten und damit um 30% billiger sein als die derzeit günstigsten Geräte. Nach einer Prognose der Deutschen Bank dürften 2010 bereits 450 Mio. HSPA-Handys in Gebrauch sein, was weitere Preissenkungen erwarten lässt. Geht es nach Anbietern wie Ericsson, wird in Zukunft auch jedes Notebook mit einer entsprechenden Datenkarte ausgestattet sein.
Das Potenzial der Internetnutzung wird also weniger von der fehlenden Netzinfrastruktur als vielmehr von den Netzgebühren und von weiteren Preissenkungen bei den Endgeräten bestimmt werden. Darum bemühen sich bereits zahlreiche Initiativen: Etwa das Projekt von Nicholas Negroponte vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Schulkinder in armen Ländern mit speziellen Laptops zu je 100 Dollar zu versorgen („One Laptop per Child“), ein Notebook des Chip-Herstellers Intel um 400 Dollar („Eduwise“) oder ein PC um weniger als 390 Dollar, der aus einer Kooperation zwischen Microsoft, Intel und dem lokalen Computerhersteller Zinox in Nigeria hervorgehen soll.
Mit jeder Preissenkung durch Markterschließungsstrategien oder humanitäre Intiativen wächst der Teil der Einkommenspyramide, der sich aus eigenen Mitteln Zugang zum Internet und zu Computern verschaffen kann. Desto geringer ist aber auch der Bedarf an Subventionen, um dem unteren Ende dieser Pyramide einen solchen Zugang zu ermöglichen – ob über eine gemeinsame Nutzung in Schulen, Universitäten, Internet-Cafés oder Haushalten. In Algerien und Ägypten etwa sehen Regierungsprogramme vor, bis 2010 jeden Haushalt zumindest mit einem PC und (in Algerien) auch mit einem Internetzugang, möglichst ADSL, auszustatten.
Aber selbst Breitbandnetze, billige PCs und Handys helfen nicht, wenn ein Land über keine ausreichende internationale „Bandbreite“ verfügt, also keine leistungsfähige Internet-Anbindung über terrestrische Kabel, Unterseekabel oder per Satellit. Es ist kein Zufall, dass die relativ höchsten Kosten der Internetnutzung gerade dort verzeichnet werden, wo es Probleme mit der internationalen Bandbreite gibt, nämlich vor allem in Afrika südlich der Sahara (siehe Karte).
Diese Engpässe sind teilweise hausgemacht. Denn entlang der Westküste Afrikas gibt es seit 2002 ein durchaus hochleistungsfähiges Glasfaserkabel (SAT-3), das acht Länder direkt mit Europa und über Mauritius auch mit Asien verbindet. Doch die an SAT-3 beteiligten afrikanischen Telekomunternehmen verwalteten den Zugang bisher nach der Strategie „hohe Preise, geringes Volumen“, und das Kabel ist nicht ausgelastet. Mitglieder des Internetprovider-Verbands ISPAN in Nigeria zahlen laut fibreforafrica.net, einer Site der Association for Progressive Communications, für 1 mbps monatlich 3.500 Dollar; über Satellit ist diese Bandbreite nach Angaben der selben Quelle ab 1.800 – 2.000 Dollar zu haben. Diese im internationalen Vergleich exorbitanten Kosten (von der Deutschen Telekom bekam man 1 mbps im Jänner um 32 Dollar) halten auch Binnenländer davon ab, in einen Anschluss an SAT-3 zu investieren, und zementieren deren Abhängigkeit von Satellitenbetreibern wie Intelsat.
Gibt es wie im Fall dieses Unterseekabels keine konkurrierende Infrastruktur, besteht jenseits staatlicher Eingriffe keine Möglichkeit, ihren Missbrauch in Form einer modernen Wegelagerei zu verhindern. Solche Infrastrukturen sollten idealerweise bloß kostendeckend als „öffentliches Gut“ verwaltet werden. Diese Idee liegt auch dem im Rahmen der NEPAD (Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas) geförderten Projekt EASSy (East African Submarine Cable System) zugrunde, einem Unterseekabel, das die von Mosambik bis Somalia bestehende Lücke im Glasfasernetz schließen soll. Parallel dazu ist eine leistungsfähige Verbindung über Land von Südafrika nach Ruanda vorgesehen.
Anhaltende Diskussionen über die Verwaltungs- und Zugangsmodalitäten haben mittlerweile Kenia zu einem Alleingang bewogen: Noch für 2007 ist ein Kabel von Mombasa nach Jemen geplant, ein weiteres soll Kenia mit den Vereinigten Arabischen Emiraten verbinden. Einer der Partner Kenias ist die indische FLAG Telecom, die ihr weltweites Netz bis 2009 um ein Unterseekabel entlang der ostafrikanischen Küste erweitern will. An der Westküste wiederum wird Globacom, der zweitgrößte Mobilnetzbetreiber Nigerias, ein Unterseekabel („Glo-1“) von London bis Lagos verlegen und 14 afrikanische Länder inklusive Kap Verde anschließen.
Mehr Kapazitäten sind zwar zu begrüßen, doch kommt es vor allem auf die Kosten an. Eine rasche Realisierung von EASSy und ein offener Zugang sowohl zu EASSy als auch SAT-3 wären wohl am besten dazu geeignet, die neuen privaten Anbieter zu angemessenen Preisen zu bewegen – eine der Voraussetzungen, um auch bei der Internet-Nutzung an den Erfolg bei der Mobiltelefonie anzuschließen.